Virtual Reality wächst als Ökosystem rasant. Fast wöchentlich wird neue Hardware oder Software vorgestellt. Dennoch kämpft die vielversprechende Technologie mit einem Problem: die Reichweite ist durch die noch tiefe Adaption der VR-Hardware zurzeit noch eingeschränkt.
Abhilfe könnte hier eine Technologie schaffen, welche Virtual Reality in den Browser bringt: WebVR. Denn WebVR-Inhalte können sowohl mit Smartphones als auch mit (fast) allen gängigen VR-Brillen genutzt werden – ohne Download oder Installation.
Dieses Potential haben auch grosse Unternehmen wie Mozilla, Google oder Apple erkannt, die aktiv an der WebVR-Entwicklung mitarbeiten. Zeit also, diese Technologie näher zu betrachten.
Was ist WebVR?
WebVR ist eine open-source API, also ein “Application Programming Interface” oder eine Programmierschnittstelle, welche browserübergreifend funktioniert. Basierend auf der JavaScript- und WebGL-Technologie erlaubt WebVR, immersive Inhalte in den Browser und auf VR-Headsets zu bringen. Dabei werden mit Oculus Rift, HTC Vive, Google Daydream, Samsung Gear VR, und Google Cardboard alle grossen Systeme unterstützt – nur die PlaystationVR bleibt (zurzeit noch) aussen vor.
Die Hauptfunktionalität dieser WebVR-API liegt darin, angeschlossene VR-Systeme und deren Funktionalitäten (Gyrosensoren, Controller etc.) zu erkennen, deren Position und Orientierung zu erfassen und die grafischen Elemente mit einer genug hohen Framerate auf die VR-Displays zu zeichnen. Ursprünglich wurde die Technologie von Mozilla im Jahre 2014 entwickelt. Es stiessen Entwickler des Google Chrome Teams dazu und am 1. März 2016 wurde Version 1.0 der WebVR API vorgestellt. Seit Juli 2017 ist auch Apple mit dabei, was zeigt welches Potential der Technologie beigemessen wird.
Entwickler von Google haben ein kurzes Animationsvideo erstellt, welches die Technologie nochmals illustrativ erklärt:
Anwendungen mit WebVR
Obwohl noch relativ jung, bauen bereits einige Webdienste und -applikationen auf WebVR. Eine der bekannteren Websites ist Sketchfab, auf welcher Interessierte ihre 3D-Modelle hochladen, teilen und zum Download anbieten können – dank WebGL und WebVR-Technologie ganz einfach im Browser und auf einer breiten Palette an Geräten.
So kann man sich beispielsweise mit einem Google Tango Gerät als 3D-Modell ablichten lassen und es für die Nachwelt ins Internet stellen:
Auch die Schweiz ist mit dabei: Das StartUp Archilogic aus Zürich bietet als weiteres Beispiel einen Service an, mit welchem man basierend auf Gebäudeplänen ohne Vorkenntnisse 3D-Modelle berechnen lassen und im Browser betrachten kann. Immpres aus Lugano erstellt dank WebVR immersive Präsentationen, die auch auf VR-Brillen angesehen werden können.
Aber WebVR ist nicht nur für hochspezialisierte Software-Entwickler ein spannendes Thema. Denn mit dem Release des Frameworks «A-Frame» durch die Mozilla- und WebVR-Community gibt es nun Tools, mit welchem man VR-Inhalte mit HTML erstellen kann. Damit erreicht VR die grösste Entwickler-Community: diejenige der Webentwickler. Dies erlaubt es auch, relativ rasch VR-Inhalte zu erstellen und per Web zu teilen – wie der (in der Webentwicklung unerfahrene) Autor im Selbstversuch zeigt:
Dass man damit aber auch richtig coole Sachen machen kann, zeigen verschiedene Beispiele. Erst kürzlich hat Google die Seite WebVR Experiments ins Leben gerufen, wo geniale Anwendungen vorgestellt und ausprobiert werden können. So beispielsweise die interaktive, rund 20-minütige Dokumentation «Bear71» über Grizzly-Bären in Kanada, die an den Cannes Lions ausgezeichnet wurde.
Das vorher erwähnte Sketchfab hat im Juli 2017 nicht nur die Unterstützung von 2D- und 3D-Audio angekündigt, sondern hat in Zusammenarbeit mit Artella den weltweit ersten Animations-Kurzfilm vorgestellt, der in WebVR läuft:
Vor- und Nachteile von WebVR
Der Umzug ins Web bringt natürlich nicht nur den Vorteil einer grossen Entwicklerbasis und die Erreichbarkeit eines Milliardenpublikums, sondern auch die Vorzüge des Webs mit sich: Inhalte werden such- und auffindbar, verlinkbar und teilbar und kommen ohne grosse Hürden zum Endkunden (low-friction).
Der Vorteil liegt auf der Hand: Konsumenten können ohne Download einer App VR-Experiences direkt auf ihrem Gerät starten. Es reicht, eine URL einzugeben. Auch wenn man keine VR-Brille und -Controller hat, kann man die VR-Experiences anschauen.
Auf dem PC öffnet man die Experience in einem kompatiblen Browser und kann sich mit Maus und Tastatur durch die VR bewegen. Auf Smartphones unterstützen fast alle modernen Geräte den sogenannten “Magic Window” Modus: Dank den Gyro-Sensoren im Gerät kann man sich in der VR durch Schwenken des Smartphones umsehen. Hat man ein Cardboard oder ähnliches VR-Headset zur Hand, genügt ein Klick auf den “VR Mode”-Knopf. Dies teilt den Screen in zwei Teile, für jedes Auge einen. Auf einem Headset und mit Controllern taucht man sehr immersiv in die Welt ein. Das alles basiert auf derselben webbasierten Applikation und erfordert keinen Download.
Das macht WebVR natürlich sehr spannend für Anwendungen, welche auf eine grosse Reichweite angewiesen sind. Aber hier gibt es noch ein paar Stolperfallen.
Denn obwohl mehr und mehr Browser und Geräte WebVR unterstützen, ist die Kompatibilität noch ein Thema, das Kopfschmerzen bereitet. Mittlerweile unterstützt Chrome WebVR und auch ab Android Nougat ist WebVR ein fester Bestandteil. Jeder mit einem Android-Smartphone und einem Google Cardboard kann seit April WebVR-Experiences geniessen. Firefox wird im August nachziehen.
Für alle anderen Kombinationen gibt es die Webseite https://webvr.rocks/ welche stets aufzeigt, welche Hardware und Browser kompatibel sind.
Ein weiterer Nachteil besteht darin, dass die Performance auf mobilen Geräten noch eingeschränkt ist. Für eine angenehmes, immersives VR-Erlebnis braucht es viel Rechenpower, welche auch aktuelle Smartphones noch nicht immer erfüllen.
Ausblick
Die WebVR-Technologie hat nicht nur eine aktive und hilfsbereite Community, sondern mit Mozilla, Google und Apple stehen IT-Grössen zu dieser Technologie – man kann also davon ausgehen, dass die Entwicklung rasant weitergeht. Gerade auch deshalb, weil in den letzten Monaten auch Samsung, Microsoft und Oculus angekündigt haben, ihre Browser für die Technologie fit zu machen.
Nebst breiterer Unterstützung von Hard- und Software und verbesserter Performance wird sich auch der Funktionsumfang der WebVR-Technologie erweitern. Es wird erwartet, dass in Zukunft nicht nur Multiplayer-Unterstützung, immersives Audio und weitere Standards implementiert werden, sondern auch «Link Traversal» unterstützt wird. Darunter versteht man, dass es künftig möglich sein wird, sich durch unterschiedliche WebVR-Webseiten zu navigieren, ohne zwischenzeitlich den VR-Modus verlassen zu müssen (Firefox Nightly unterstützt dies bereits). Es entsteht somit also nicht nur eine neue Grundlage für immersive Game-Entwicklung in HTML, sondern auch die Basis für ein immersives, dreidimensionales Web, in das man eintauchen kann.
Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch Augmented-Reality-Applikationen den Weg ins Web finden – wenn man Googles Ambitionen entsprechend auslegen kann.